Willkommen liebe Erstsemester!
Wir wollen – auch online – die Erstsemester an unserer Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg herzlich willkommen heißen!
Lest im folgenden die Rede von der Begrüßungsveranstaltung, die Janwillem van de Loo für uns als FSR gehalten hat:
Moin,
ein aufregender Tag heute, ich weiß nicht wie es euch geht, ich jedenfalls bin ein bisschen aufgeregt, aber ich freue mich sehr, und das seit Längerem, dass ich euch heute im Namen des Fachschaftsrats herzlich an unserer Fakultät willkommen heißen darf. Was der Fachschaftsrat ist und sowieso, wie der ganze Laden hier läuft, darf ich euch am Mittwoch erklären, aber schon mal vorab: Der Fachschaftsrat, kurz FSR, ist die direkt jährlich gewählte Vertretung für uns Studierende hier an der Fakultät. Aktuell stellt die Gruppe der kritischen Jurastudierenden, denen auch ich angehöre, den FSR. Das nur zur ersten Orientierung.
Wenn ich alles was ich gleich sagen will auf einen Satz zusammen fassen müsste, dann, dass ich ab Heute sagen muss: Willkommen an eurer Fakultät. Denn ab heute seid ihr ein Teil von ihr. Und dafür, dass das eine Beziehung mit Substanz werden kann, bin ich ein ganz gutes Beispiel: Es ist jetzt ein bisschen mehr als sechs Jahre her, dass ich selber dort gesessen habe, wo ihr nun sitzt. Sechs Jahre in denen unglaublich viel – und schönes passiert ist – in denen sich viel verändert hat. Aber trotzdem kann ich mich noch genau an diesen ersten Tag erinnern. Ich habe irgendwo da gesessen, war aufgeregt wie das hier wohl alles so sein wird und habe skeptisch zugehört. An die Rede des FSR-Vertreters kann ich mich übrigens nicht mehr erinnern. Das kann ich also wohl kaum von euch verlangen, aber ich gebe mir mal Mühe, das es anders wird.
Für euch ist dies an dieser Fakultät ein besonderer Tag. In gewisser Weise seid ihr wirklich zu beneiden. Wir beneiden euch, weil die Zeit hier an dieser Fakultät jetzt unmittelbar vor euch liegt, während sie für einige von uns nach dem Staatsexamen nun vorbei ist. Und ich weiß, es wird immer so gesagt, was für eine schöne Zeit das Studium ist, aber ich muss nochmal ganz klar sagen: Das stimmt! Das was vor euch liegt wird überragend! Wenn ihr von heute etwas mitnehmt, dann bitte, dass ihr ein Recht darauf habt, hier eine phantastisch geniale Zeit zu verbringen! Meinetwegen könnt ihr euch das ganze als knalligen, riesig großen Gutschein „Beste Zeit“ vorstellen.
Ich glaube eine der wichtigsten Gründe, warum diese Zeit so genial ist, ist die Freiheit, die mit ihr kommt. Viele von euch sind jetzt von zuhause ausgezogen oder werden es in der nächsten Zeit tun. Dieser Schritt in die Unabhängigkeit von den Eltern ist ein sehr wichtiger und das sich ausprobieren im Zusammenleben mit anderen, meistens in einer WG, ist vieeel Spaß und viel Freiheit! Aber auch hier an der Uni seid ihr sehr frei. Keine Anwesenheitspflicht bei Vorlesungen, kaum Vorgaben wie ihr was, wann, wo mit wem macht. Klar, ihr müsst die Klausuren bestehen und es wird auch nicht immer leicht, aber ansonsten seid ihr inhaltlich vollkommen frei, frei euren Interessen nach zu gehen und eure eigene Art zu entwickeln. In der Rechtswissenschaft gibt es keine Credit-Points und Noten zählen erst ab dem Schwerpunkt, in dem ihr frühestens in drei Jahren seid. Bis dahin seid ihr wirklich so frei wie nur ganz ganz wenige seit dem Beginn des Bachelor/Master Systems. Das ist eine Riesenchance. Ihr habt sogar die Chance Dinge grundlegend zu hinterfragen, keine Chefin oder Chef, der euch morgens die Akten auf den Tisch knallt und euch vorschreibt, wie ihr zu denken und zu arbeiten habt. Wenn ihr offen Kritik übt, sitzt euch keine Angst vor persönlichen Konsequenzen im Nacken, wie sie vlt. jemand in der Arbeitswelt empfindet. Das Mit-Laufen ist im Berufsleben an der Tagesordnung. Da gibt es natürlich auch Ausnahmen und selbst wenn das jetzt vielleicht etwas übertrieben ist, so will ich doch ausdrücklich bei dieser Erstsemester Begrüßung auf so jemanden wie Edward Snowden hinweisen, der mutig und eindrucksvoll gezeigt hat, dass man auch dann trotzdem Kritik offen äußern kann und muss. Edward Snowden hat übrigens auch ziemlich coole AnwältInnen. Schlussendlich gibt es noch einen banalen Grund für die Freiheit, die euch bevorsteht: Es gibt in den nächsten Jahren wahrscheinlich ganz wenig Alltag, der euch lähmen könnte und an eurer Zeit zehrt. Auch wenn mal Klausuren und Hausarbeiten stressen: Eigentlich habt ihr enorm viel Zeit und Freiheit! Ihr könnt damit überragende Dinge anstellen: Geht in Vorlesungen anderer Fakultäten und lernt die Studis dort kennen. Das Vorlesungsverzeichnis ist online und man darf sich überall reinsetzen und mitreden. Seid bitte keine Aliens vom Planeten Rechtshaus! Seid keine Fachidioten. Schaut euch die Schanze, den Kiez und die Reeperbahn an – gerne auch mal drei Tage am Stück. Feiert zu Hause und ladet euch gegenseitig ein. Auch mit den Saufen bis zur Schuldunfähigkeit oder anderen Substanzen kann man experimentieren – ganz praxis nah zum Strafrecht – muss man aber nicht. Lest Bücher und schaut Filme – Klassiker und Modernes, banales oder Lustiges. Vor allem aber, lernt das Leben da draußen kennen, tretet ein in Vereine, politische Initiativen oder Parteien und lernt kennen wie sie funktionieren und gestaltet selber mit! Wann ausprobieren, wenn nicht jetzt? Erwachsenwerden ist mehr als Falten bekommen, es heißt Erfahrungen sammeln. Das kann man nur wenn man sich in das Unbekannte begibt. Dazu könnt ihr die Freiheit nutzen die ihr jetzt habt.
Ich gehe sogar so weit, dass ich sage: Es zeichnet euch auch als gute JuristIn aus, diese Freiheiten zu nutzen. Gustav Radbruch, einer der wichtigsten deutschen Juristen hat einmal gesagt: „Recht ist der Wille zur Gerechtigkeit“. Nun ist es sicherlich eine philosophisch hoch aufgeladene Frage „Was Gerechtigkeit ist“, aber ich bin sicher, dass umfassende Lebenserfahrung auf der Suche danach helfen dürfte. Seid gesellschaftliche EntdeckerInnen.
Aber wisst ihr, was der Haken daran ist? Erinnert euch mal an diesen Großen Gutschein „Beste Zeit“, den ich vorhin erwähnt habe. Er ist zwar an euch ausgestellt dieser Gutschein, aber er ist auch v o n euch ausgestellt. Ihr alle tragt nämlich zusammen die größte Verantwortung, dass es so eine gute Zeit wird.
Ganz schöner Reinfall dieser Gutschein was? Ich hab gehört, dass ist übrigens öfters so bei diesen Gutscheinen.
Die Freiheit, von der ich gesprochen habe, ist keine Selbstverständlichkeit. Das fängt schon vor Beginn des Studiums an: Es gab Zeiten, in denen bspw. Frauen sowieso überhaupt nicht Studieren durften. Heute stellen sie zwar schon länger mehr als die Hälfte der Jurastudierenden, aber auf Ebene der Proffs sind es immer noch nur beschämende 13%.
Auch die Unabhängigkeit von den Eltern ist keine Selbstverständlichkeit: Erst seit die sozialliberale Koalition 1972 unter Willy Brandt das Bafög einführte, können auch Menschen finanziell abgesichert studieren, die sonst keine finanzielle Unterstützung ihrer Eltern haben. Die Bafög Beträge wurden zwar von der Großen Koalition kürzlich erhöht, aber die aktuelle Frage wäre hier neben einer Elternunabhängigkeit, eine flexible Anpassung an bspw. die krassen Hamburger Miet-Preis Verhältnisse. Außerdem spielt nach wie vor der Bildungshintergrund der Eltern eine bedauerlicherweise extrem große Rolle: 77 % der Akademiker Kinder studieren aber nur 23 % der Eltern ohne Hochschulabschluss. Hier in Jura sind es sogar weniger als 20% von euch, die als erste ihrer Familien an einer Hochschule studieren. Noch auffälliger sind die Zahlen zu Studierenden mit Migrationshintergrund, dort kommt hinzu, dass fast jede 2. Person das Studium abbrechen muss.
Das sind krasse Zahlen, und wir finden es zu tiefst ungerecht, das es so viel ausmacht, in welche Familie man eben zufällig geboren wird. Aber wir hier können alle viel dazu beitragen, dass sich jeder und jede an unserer, nein eurer wink emoticon Fakultät willkommen fühlt – denkt einfach immer mal wieder daran wie es sich für andere anfühlen muss.
Schlussendlich fällt es manchen Eltern natürlich schwer die Unabhängigkeit ihrer Kinder zu akzeptieren. Das ihre Kinder jetzt vielleicht ganz andere Ansichten als sie entwickeln, ja vielleicht eine Partnerin, oder Partner oder gleich beides wählen, mit denen sie nicht einverstanden sind, passt vielen Eltern nicht. Es ist hart, aber lasst euch dadurch nicht beirren, wenn ihr eure Entscheidungen getroffen habt. Ihr seid erwachsen, lasst euch das nicht nehmen! Die Zeit, die vor euch liegt, gehört euch, nicht euren Eltern.
Auch im Studium ist die Freiheit nicht selbstverständlich. Die Bologna-Reform mit ihrer Verschulung des Studiums ist zwar an unserem Studiengang vorbeigegangen, aber viele Gedanken sind trotzdem bei uns angekommen. Zum Glück konnten wir an unserer Fakultät ein Leitbild festlegen, dass diesen Gedanken eine andere Idee entgegensetzt. Ihr findet es in eurem Studienführer. Auch an anderen Stellen konnten wir Studierende konkrete Verbesserungen erkämpfen: Die Prüfungen in den ersten 3 Semestern wurden von 15 auf 10 reduziert. Die Studiengebühren wurden bundesweit abgeschafft. Während ich nach meinem Studium nun 2500 € Studiengebühren Schulden habe, werden für euch keine Studiengebühren anfallen. Das finden wir einen großen Fortschritt. Außerdem gibt es an unserer Fakultät seit einigen Jahren einen Freiraum, hier im BG 8, der Jura-sic Park, einen studentischen Aufenthaltsraum, den man zur Entspannung, zum Schnacken, chillen, Kaffee trinken, aber auch für eigene Veranstaltungen wie Gesprächs- oder Lesekreise nutzen kann. Dieser Freiraum ist bei Weitem keine Selbstverständlichkeit und es liegt auch an euch, eurem Semester, ihn mit Leben zu füllen. Bei all diesen Punkten, aber auch im Studium bspw. mit Lerngruppen heißt das oberste Prinzip immer: Selbstorganisation!
Vor euch liegen also nicht nur mindestens spannende Jahre sondern auch Jahre des Aufbruchs für diese Fakultät! Ich muss mich korrigieren: Für eure Fakultät! Das mit zu gestalten, darum beneiden wir euch sogar sehr! Wir wünschen euch, dass egal wie und wo die Zeit der nächsten Jahre dann genau abläuft, dass ihr später sagen könnt: Diesen großen Gutschein „beste Zeit“, den habe ich genommen und ich habe ihn zusammen mit anderen eingelöst. Genießt es!
Danke.
Eine Gruppe wird bei solchen Veranstaltungen oft vergessen, weswegen ich Sie noch dankend erwähnen will: Eure Tutorinnen und Tutoren! Sie opfern sehr viel Freizeit um die Woche für euch zu organisieren und euch einen guten Start hier an der Fakultät zu bereiten. Dafür möchten wir ihnen als FSR herzlich danken und ihnen Applaudieren.